Evangelisch-reformierte Kirche des Kantons St.Gallen

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Pfingsten: Das Fest des Verstehens

Blick vom Hochhamm in Richtung Toggenburg. Bild: Andreas Ackermann

«Pfingsten ist das Fest des Verstehens», schreibt Pfarrer Martin Schmidt in seinen Gedanken zum Pfingstfest. Darum wünscht er sich die Offenheit für den Geist, der uns zum Frieden und zur Verständigung über alle Grenzen hinweg hilft.

(31. Mai 2022) Pfingsten hat für uns nicht die Bedeutung wie Ostern und Weihnachten. An Pfingsten gibt es keine Geschenke und wir kennen kaum Rituale. Pfingsten ist ein verlängertes Wochenende, irgendwann zwischen Frühling und Sommer, irgendwie verwandt mit Ostern. Denn auch an Pfingsten stecken wir im Stau.

Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes – mit dem die bürgerlich gesittete Volkskirche eher wenig anfangen kann. Wer will schon früh am Tag für betrunken gehalten werden wie die Jünger, die in anderen Zungen redeten?

Trotzdem: Pfingsten wäre eigentlich das Fest der Kirche. Der enthusiastische Aufbruch an Pfingsten, er begründete die Kirche. Aber dieser leidenschaftliche Aufbruch voller Ekstase und Begeisterung musste «in Form» gebracht werden. Schon bald gab es Ämter, Aufgaben und auch die ersten Auseinandersetzungen. Der Aufbruch wird zur Institution. Und zugleich muss jede Institution, auch unsere Kirche heute, offen sein für Neubeginn; es braucht Aufbruch und Bewegung, um aktuell zu bleiben.

Pfingsten ist das Fest des Verstehens. Die Gegengeschichte zu Pfingsten ist der Turmbau zu Babel. Dieser zeigt, wohin es führt, wenn Menschen sich nicht auf Gottes Geist, sondern allein auf sich selber verlassen. Der Turmbau zu Babel erzählt vom Menschen, der von allen guten Geistern verlassen ist.

Bei der Pfingstpredigt des Petrus verstanden sich die Menschen, obwohl sie nicht dieselbe Sprache sprachen. Gottes Geist hebt die alte Sprachverwirrung auf. Glaube verbindet: über Länder hinweg, über Altersgrenzen hinweg, auch über verschiedene Prägungen und die Erziehung hinweg.

Wir erleben es gerade besonders intensiv. Menschen verstehen sich nicht mehr, verlassen sich nur noch auf sich und die eigene Macht, sie führen Krieg – selbst wenn sie dieselbe Sprache sprechen. «So war der Mensch schon immer», sagt das Alte Testament, «und so ist er auch heute noch.» Und wir könnten 3000 Jahre nach dem Turmbau hinzufügen: Ja, er hat sich nicht geändert, nur die Möglichkeiten sind noch stärker in den Himmel gewachsen.

Sich verstehen, das ist das Paradies. Das ist der Friede, wenn Menschen sich verstehen – nicht immer der gleichen Meinung sind, aber sich verstehen. Pfingsten ist im Verstehen das Fest des Friedens. Was ist das für eine Menschheit, die zwar den Mars erobern und alle menschlichen Erbanlagen entschlüsseln will, doch selbst im eigenen Haus keinen Frieden halten oder schaffen kann?

Und deshalb gibt es Gott sei Dank die Pfingstgeschichte, die Erfahrung, dass im Vertrauen auf Gottes Geist Sprachlosigkeit überwunden werden kann. Beim Turmbau wurden die Sprachen verwirrt, die Völker in alle Welt zerstreut. An Pfingsten fielen die Sprachgrenzen, Gottes Geist sammelte die Menschen aus aller Welt. Der Geist wird in das Herz der Menschen gegossen. Und Babel, rückwärts gelesen, heisst auf Hebräisch Lebab, das Herz.

So wünsche ich uns, dass wir uns als Christen mithilfe des Heiligen Geistes verstehen und aufeinander zugehen. Ich wünsche uns, dass wir verstehen, was der oder die andere will – und dabei auch die leisen Töne hören. Ich wünsche uns die Offenheit für den Geist, der die Herzen verändert und der uns zum Frieden und zur Verständigung über alle Grenzen hinweg hilft.

Pfr. Martin Schmidt, Präsident des Kirchenrates der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St.Gallen

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